Bilder und Textauszüge

Eben noch so schön gespielt! Jetzt heißt es fliehen.

Erstes Chorkind: Wo gehen die hin?
Zweites Chorkind: Vielleicht fliehen sie.
Erstes Chorkind: Wovor?
Drittes Chorkind: Vor dem Krieg.
Erstes Chorkind: Vor welchem Krieg?
Alle schweigen.

Viertes Chorkind: Das ist glaub ich egal. Menschen fliehen vor jedem Krieg.
Zweites Chorkind: Wo ist denn überall Krieg?
Drittes Chorkind: Müssen wir das hier jetzt wirklich aufzählen? Hat doch jeder Internet. Kann doch jeder selbst nachsehen.
Erstes Chorkind: Aber wo gehen die beiden hin?
Fünftes Chorkind: Und wo ist der Papa von dem Kind?

Enkel: Großvater, die dunkel ist die dunkelte Dunkelheit?
Großvater: Mach die Augen zu. Was siehst du?
Enkel: Ich sehe Licht und bunte Farben, eine Sommerwiese und blauen Himmel.
Großvater: Dann stimmt etwas mit deinen Augen nicht. Man sieht nichts, wenn man die Augen zu hat.

Herr Not erscheint zum Dunkeltreffen. Er trägt Mantel, Hut, Handschuhe und Aktentasche, schleppt einen Tisch herbei und vier Stühle, öffnet die Aktentasche, holt eine schwarze Tischdecke heraus und legt sie auf den Tisch. Er holt eine schwarze Stammtischfahne heraus. Er zieht seinen Mantel aus, hängt ihn an eine Garderobe. Aus seinem Sakko holt er ein Handy, telefoniert.
 
Not (ins Telefon, betont die Wörter, damit sie gut hörbar sind): Ja, hier Not. Wie Tod, haha. Nordpol, Otto, Theodor. Not. Wie sieht’s aus, Herr Kollege, dürfen wir Sie beim diesjährigen Dunkeltreffen begrüßen? – Sie sind schon auf dem Weg? Ganz wunderbar. – Also dann, bis gleich!
Herr Not steckt das Handy wieder in die Jackentasche, packt Papiere aus, verteilt sie auf dem Tisch.

Frau Kummer kommt mit ihrem schweren Wagen. Sie geht durchs Publikum, lässt den Wagen vor der Bühne stehen, stellt einige der Herzen auf die Bühnenkante. Dann betritt sie selbst die Bühne.

Not: Herzlich willkommen, Frau Kummer. Wie schön, dass Sie wieder Zeit für das Dunkeltreffen gefunden haben. Wie geht es Ihnen?
Kummer: Wie immer, Herr Not, wie immer.
Sie setzt sich, schweigt.

Herr Flucht kommt in den Saal, rennt von hier nach dort, duckt sich, rennt auf die Bühne, setzt sich auf einen Stuhl, sieht vorsichtig um sich, hält sich die Finger auf den Mund „psst!“.

Not reicht ihm die Hand: Guten Tag, Herr Flucht. Wie schön, dass sie es noch geschafft haben. Sie hatten eine angenehme Reise?
Flucht nickt: Wie immer, Herr Not, wie immer.
Herr Flucht bleibt hektisch, guckt immer mal wieder hinter sich und um sich.

Nun kommt ein Maikäfer „hereingeflattert“. Er hat einen Korb in der einen, eine große Papierrolle in der anderen Hand.

Maikäfer: Guten Tag, alle zusammen.
Er verbeugt sich zu allen drei Leuten hin.
Frau Kummer und Herr Flucht betrachten ihn erstaunt.

Not herrscht ihn an: Was wollen Sie denn hier?
Maikäfer: Hier findet doch das Dunkeltreffen statt. Da gehör ich dazu.
Not: Wieso, warum, versteh ich nicht.
Maikäfer sieht genervt gen Himmel, rollt dann nach und nach seine große Papierrolle auf, auf der die Metamorphose des Maikäfers groß/plakativ gezeichnet ist.
Maikäfer: Ich leb jahrelang unter der Erde.
Sieht Herrn Not an, dieser nickt.
Maikäfer: Dort mühe ich mich ab, aus einer Larve zum Maikäfer zu werden. Hm?
Herr Not nickt.
Maikäfer: Dann schlüpfe ich, muss aber noch ein Jahr warten, bis ich aus der Erde krabbeln kann.
Herr Not: Ja, und?
Maikäfer: Dann fliege ich endlich los. Aber ich kann nur ein paar Wochen alt werden.
Das ist ungerecht. So viele Jahre im Dunkeln. Dann nur ein paar Wochen im Sonnenschein. Und dann dichten die Menschen auch noch Lieder über mich, in denen Krieg vorkommt. Nö. Dazu hab ich keine Lust mehr. Ich bin also sozusagen hier, um mich über die Dunkelheit zu beschweren, die Sie hier verbreiten, Herr Not.

Maikäfer rollt die Papierrolle zusammen, klemmt sie sich unter einen Arm, steht mit verschränkten Armen da, guckt herausfordernd-sympathisch und etwas verschmitzt ins Publikum, tappt mit dem Fuß ungeduldig und wartet auf eine Reaktion von Herrn Not.

Herr Not kratzt sich am Kopf.
Not: Ja, äh, keine Ahnung. Auf jeden Fall sind Sie hier falsch. Wir erwarten wichtige Persönlichkeiten, da stört so ein Käfer wie Sie nur.
Maikäfer: ICH störe? SIE stören! Wissen Sie, wir Insekten, wir lieben das Licht. Natürlich nicht diese Straßenlaternen, davon bekommen wir Kopfweh. Nein. Wir lieben das Himmelslicht. Das Sonnenlicht. Und das Mondlicht.

Maikäfer macht eine ausladende Bewegung zum Himmel und sagt: Der Mond ist so schön! Aufregend regelrecht. Aber was haben die Menschen davon, wenn sie den Mond sehen und traurig werden? Ist Ihnen das schon mal aufgefallen?

Not: Was soll mir aufgefallen sein?

Maikäfer: Wenn es dunkel wird auf der Erde, werden viele Menschen traurig. Sie erinnern sich an Dinge, die sie erlebt haben. Und dann weinen sie.

Not: So ist das halt. War doch immer so. Was soll daran falsch sein? Ist doch prima, wenn es dann dunkel ist. Denn dann sieht keiner, dass die Leute weinen.

Das kleinste Chorkind sagt laut und vernehmlich: Das ist ja wohl das Dümmste, was ich je gehört habe!

Maikäfer: Herr Not, kennen Sie den Mond?
Not: Das runde Ding da oben am Himmel? Jaja, ist mir bekannt.

Maikäfer: Es gibt sogar ein schönes Lied über den Mond. Das hören wir Käfer gerne, vor allem in Mainächten.

Der Maikäfer zündet eine Kerze an. Herr Flucht und Frau Kummer sehen die Kerze traurig an.

Not: Was machen Sie da?! Was ist denn das?! Machen Sie das sofort aus!
Maikäfer sieht Herrn Not freundlich an: Nö! Das ist eine Kerze. Die leuchtet so schön wie das Mondlicht. Mir gefällt’s – und für so ein Treffen ist das gerade richtig.

Not reckt die Arme gen Himmel: Was ist denn hier los? Die Hälfte der eingeladenen Gäste taucht einfach nicht auf – und stattdessen kommt ein Maikäfer! Mit einer Kerze!

Maikäfer: Wer sollte denn noch kommen?
Not: Ach, wichtige Leute. Ganz ganz wichtige Leute!
Er zählt an den Fingern bedeutungsvoll auf.
Not: Herr Befehl, Herr Vernichtung, Frau Leid, Herr Angst, Frau Vergessen …
Maikäfer unterbricht ihn: Und die kommen alle nicht? Das ist aber schade. Denn dann kann ich meine Beschwerde ja nur bei Ihnen anbringen. Warum kommen die nicht, wenn man fragen darf?

Not: Was weiß ich, keine Zeit vermutlich. Die haben zu viel zu tun auf der Welt. Naja, hab ich auch. Aber einer muss sich drum kümmern, dass das alles so weitergeht.

Enkelkind sagt laut und vernehmlich: Also, jetzt reicht es aber!

Das Enkelind wird gleich auf die schwarze Seite gehen und sich vor em Tisch aufstellen. Dann:

Not herrscht es an: Was willst du hier?
Enkelkind: Mitmachen. Sieht aus, als könntet ihr etwas Licht gebraucht.
Kummer und Flucht halten sich die Hände vor die Augen.

Flucht: Bloß nicht. Weg von hier! Du hast hier nichts zu suchen.
Kummer: Keine Kinder. Bloß keine Kinder hier. Weg, Kind, lauf weg, schnell.
Enkelkind: Warum?

Not sagt sehr deutlich: Weil – das – hier – nicht – für – Kin – der – ist!
Enkelkind: Warum? Was ist denn mit den ganzen Kindern auf der Welt, denen es schlecht geht, weil die Großen sich immer streiten müssen?

Not macht ein verdutztes Gesicht und ist sprachlos.
Flucht und Kummer sehen betreten vor sich hin, Frau Kummer holt wieder ein Taschentuch heraus und putzt sich geräuschvoll die Nase.

Maikäfer setzt sich bequem auf den Stuhl, lehnt sich zurück und macht eine Handbewegung nach dem Motto „na siehste, ich hab’s doch gesagt!“

Not findet seine Fassung wieder: Ach, papperlapapp, Kinderkram. Kerzen und Mond und Licht. Bunter Bilder, was? Bunte Bilder findet ihr auch toll, ihr Kinder, stimmt’s?

Enkelkind geht wieder zu Herrn Not: Wenn ich hier so rumgucke, seh ich bunte Sachen, und bunt gekleidete Menschen. Wenn ich die Augen zumache, sehe ich bunte Bilder

Not (macht eine abwertende Handbewegung): Das wird schon noch aufhören. Ich sehe schwarz, wenn ich die Augen AUF-MA-CHE (reißt die Augen extra weit auf) – und wenn ich die Augen ZU-MA-CHE (kneift die Augen zusammen). Wie ist das bei Ihnen?

Not fragt das in Richtung Kummer und Flucht. Die machen die Augen zu und wieder auf.
Kummer: Schwarz-…grau!
Flucht: Schwarz. Bisschen grau..

Maikäfer macht es ihnen nach.
Maikäfer: Bunt!

Not guckt ihn erstaunt an.
Enkelkind: Mein Opa sagt, ich hätte was mit den Augen.
Not: Dein Opa ist ein kluger Mann.
Enkelkind: Mein Opa ist ein trauriger Mann.

Kurz darauf wird das Enkelkind mit Herrn Not um den Großvater kämpfen …

Zu den Liedern.