Über TABOE

Zu diesem Stück

Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid mißtrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen.
Wacht darüber, daß eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird! Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt!
Günter Eich

Fraktales Wesen Mensch? Von wegen. Das ist zwar ein bekanntes Bild: Der zerstörte Mensch, der auch so bleiben soll oder muss, weil es angeblich unmöglich sei, all die Traumata des Lebens zu heilen. Viele denken auch, der Mensch würde erst nach dem Ableben ganz – vielleicht! Nämlich nur, wenn es Gott so wolle.

Nun ist reformatorisches Denken zwar insofern anders, als dass der „sündige Mensch“ gleichzeitig bereits gerechtfertigt ist, seine „Sünden“ also schon aufgehoben sind, sobald er/sie diese begeht. Doch hat auch dieses Denken nicht dazu geführt, dass mehr Frieden auf der Welt ist. Weil Menschen das, was sie tun, immer aufgrund ihrer inneren Zerstörtheit tun – und nicht aufgrund von Sünden.

Wenn Menschen aber zerstört bleiben sollen – wie kann es dann Frieden geben? Außerdem war mir das Wort „Sünde“ in Bezug auf Kinder immer schon suspekt. Denn Kinder kommen zwar schon ein wenig fraktal auf die Welt, weil sie, wie man mittlerweile weiß, Traumata erben und auch schon im Mutterleib vieles miterleben. Aber die wirkliche Zerstörung geschieht durch den Wahnsinn dessen, was ihnen hier begegnet. Und was einmal aus so einem Menschenkind wird, weiß niemand. Als Rassist, Extremist oder Gewaltherrscher wird niemand geboren. Das Sicherheben über andere und die Suche nach dem „starken Mann“ sind immer Folgen inneren Sichkleinfühlens. In APOCALUTHER haben wir das vor zwei Jahren auf die Bühne gebracht.

TABOE (niederl. für Tabu – und das, worum es hier geht, ist ein Tabu) zeigt nun, was in APOCALUTHER unsichtbar geschah, als die drei Gewaltscherrscher ihre Masken absetzten, nachdem sie den Brief ihrer Eltern und den Brief von Gott gelesen hatten. In den Briefen stand, das sie geliebt sind – so, wie sie sind. In TABOE heißt es darum: „Was wir lieben, wie es ist, kann wieder ganz werden.“

Ob angstbesetzter Gewaltherrscher oder Geknechteter, Kind oder Erwachsener – das fraktale Wesen Mensch ist NICHT dazu auf der Welt, um an der Fraktalität zu leiden. Sondern wir sind hier, um lebensfroh zu leben und um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen. Darum können, dürfen, sollen alle Menschen ganz werden und bleiben. Es ist unser Geburtsrecht.

Meine Vision ist, dass in den Folterkellern der Welt die Peiniger auf einmal GANZ werden. Einfach so. Weil hunderttausend Engelchen ihnen ihre verlorenen Seelenteile zurückbringen. Und dass diese wieder heilen Menschen dann da stehen und starren und sofort alle Gefangenen freilassen, ihre Wunden versorgen. Dass durch dieses Tun auch die Gefolterten wieder ganz werden und dann alle gemeinsam hinausgehen ans Tageslicht. Dort hin, wo das Leben ist. Gemeinsam auf einer Erde, die allen gehört.

Bewusst habe ich für TABOE einen syrischen Komponisten gesucht. Die Internetrecherche ergab zahlreiche Einträge zu Nuri El-Ruheibany. Als erstes sah ich die Aufführung der Carmina Burana 2011 in Damaskus, mit Nuri am Dirigentenpult. Außerdem fand ich Variationen für Cello und Orchester über „Der Mond ist aufgegangen“. Da war klar, dass dieser Komponist der Richtige für TABOE ist. Danke, Nuri! Dass ich Tarek gefunden habe, war ein weiterer Glücksfall. Genau wie diese tollen Chorkinder und ihre Familien! Und Helene und Klara! Theo! Die Sponsoren! Und Sie, die Sie alle hier sind 🙂 DANKE!

Das Stück habe ich meinem Vater gewidmet. Dass er durch die Bombardierung Berlins seinen Teddybär verloren hatte, fiel mir seltsamerweise erst wieder ein, als ich TABOE geschrieben hatte. Von diesem Teddy gibt es nichts mehr. Aber jetzt gibt es TABOE.

Zu „Die Kinder des Lichts“.