Inzeit ist immer

Auszeit.

Von was eigentlich: Alltag, Arbeit, Mann, Frau, Kindern, Sorgen, Ängsten, allem auf einmal, einem Teil davon oder von sich selbst?

Und wird die Zeit dann ausgeschaltet, die man mit all dem verbringt? Oder geht man aus der gewohnten Zeit hinaus in eine andere?

Zumeist geht man für eine Auszeit in eine andere Umgebung hinein. Möglichst eine, in der die Zeit anders tickt. Zum Beispiel langsamer. Oder qualitätvoller, was auch immer dies sei.

Pilgern. Kloster. Retreat, Seminar, Erholung sonstwo. Möglichst lang. Auch beliebt: Möglichst kurz, dafür heftig.

Hinein in ein Tun, das bitte anders ist als das, was man kennt. Gleichförmig. Ruhig. Mit möglichst festen Zeiten, Ritualen.

Corona. Auszeit von Corona. Gewohnte Auszeiten wegen Corona unmöglich. Oder ist das eine kollektive Auszeit? Was ist mit denen, die Covid-19 überstanden haben und nun an Long Covid leiden, einer unfreiwilligen Auszeit ausgeliefert sind?

2021. Bald da, schon da.

Das lange Warten auf 00:00.

Dann aber statt Böllern in diesem Jahr so still wie vielleicht seit Menschengedenken nicht.

Wie schön für die Tiere, die sich zu der Zeit zusammenkauerten und sich vermutlich dachten: Ja, böllert nur. Die Geister sind schon längst im neuen Jahr angekommen.

Wie schön für alle betagten Menschen, die Böllern erschreckt, weil es sie an die Bombennächte ihrer Kindheit erinnert.

Wie schön auch für den Neujahrstag, und dass man das neue Jahr nicht mit Putzen der Straße beginnen muss, das oft andere als die Böllerer übernehmen.

Der Übergang von 2020 nach 2021 ist nicht mal eine Sekunde, sondern nur ein Moment. Der Moment zwischen den Sekunden. Kannst Du Dir den vorstellen?

Dieser Moment ist rund um die Uhr immer neu und doch ein Kontinuum, von Sekunde zu Sekunde. Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer. Schrieb Erich Kästner und auch: Die Zeit vergeht, sie weiß es nicht besser.

Ich mag diese beiden Zeilen von Kästner sehr und seit langer Zeit. Sie bringen mich zur Frage: Warum eigentlich Auszeit? Warum nicht Inzeit?

Nimm Dir mal ne Inzeit! Ich brauche mal ne Inzeit! Hieße es dann. In was hinein?

Eine Inzeit auf einem Pilgerweg? Kann funktionieren, so der Pilgernde merkt, dass es ob aus oder in, über Stock und Stein oder über hunderte von Kilometern immer nur um das geht, was in ihm selbst ist oder nicht ist.

Eine Inzeit im Kloster? Kann funktionieren, wenn der zumeist Schweigende merkt, dass das in ihm nach Freilassen Schreiende nie schweigen wird, wie oft er auch versucht, es ihm vorzumachen.

Eine Inzeit wo auch immer – Du kannst sie immer haben. In Dir. Jetzt. Jetzt wieder. Und schon wieder könnte da eine sein. Ohne langfristige Planung, heftige Abläufe oder Abschiede und Rückkehr ins Gewohnte.

Eine Inzeit, in der Du zum Beispiel in Frieden bringst, was Dich heißt, Auszeiten nehmen zu müssen. Auszeiten, die Dich aus Deinem Sein herausholen sollen und dabei nur versuchen, Dich zu Dir nach Hause zu bringen. Nach Hause, wo Du aber gar nicht hinmöchtest, weil dort so viel fehlt. Wo Du aber doch hinmöchtest, weil Du dort zu Hause bist. Hin, her, hinaus, hinein, als hingest Du zwischen zwei Sekunden fest oder anders: Würdest ständig versuchen, den Moment zwischen zwei Sekunden eben n i c h t ertragen zu müssen. Weil er Dich erinnert an x, y oder z und vor allem ans Sterben, das hoffentlich den Gefallen tun wird, nicht in so einem Zwischendensekundenmoment, sondern davor oder danach stattzufinden. (So Du Deine Geburt überstanden hast, dieses erste Zwischenlebenundtod, bist Du ohnehin auf dem Sterbensweg unterwegs. Aber kein Sterbenswörtchen darüber verlieren, bitte, ich weiß …) Eine Inzeit, die Dich herausholt aus dem Alltag und aus Auszeiten, hinein zu Dir, in Dich, Dein Haben und Sein.

Vom nächsten Jahr trennt uns der Moment zwischen der Sekunde 23:59 und 00:00. Geh mal da hinein in diese Inzeit. Deine Inzeit, die immer ist, und bleib darin, in diesem Zwischen, von einem zum nächsten, das das Davor und Danach schon bei sich hat. Das nicht bleibt und doch von Dauer ist. In diesem Jahr ist die Gelegenheit günstig, da hineinzugehen, weil drum herum alles so viel stiller sein wird.

Die Zeit weiß vermutlich nicht, dass sie vergeht. Aber Du weißt das, und vergehst auch, wie eine Blume (Ps 103, 15). Wohingegen die Zeit bleibt.

Menschen nehmen Auszeiten, um zu sich zurückzufinden. Wo sie nie ankommen und darum immer wieder auf die Suche gehen.

Nimm Dir Inzeit, um das, was Du von Dir verloren hast, zurückzuholen. In Deine Zeit jetzt zurückzuholen und für die Zeit, die kommt. So bleibst Du. In Dir, im Eins. Jetzt und dereinst.

Auch, wenn mittlerweile kleine Auszeiten vom Alltag angeblich in einer Kaffeetasse Platz haben: Inzeit ist immer, so Du mit der Zeit gehst 🙂 Was Du auf Auszeiten gesucht hast, kommt dann fast von selbst zurück. So wie das neue Jahr, ob Du Dich nun auf die Sekunde davor, danach oder das Dazwischen konzentrierst.

Alles Gute und Liebe für 2021,
bleib behütet und beschützt,
Ulriqe