Danke, Manfred Schlenker

Ein Nachruf

Manfred Schlenker ist tot. Der Kirchenmusiker und Komponist, geboren am 15. März 1926 in Berlin, starb dort am 5. Juni 2023. Informationen zu seinem Leben und Schaffen sind hier zu finden: https://www.manfred-schlenker.de/ sowie hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Schlenker_(Komponist). Mit diesem Nachruf schreibe ich meine persönlichen Erinnerungen an diesen besonderen Menschen auf.

„Manfred Schlenker kommt!“, so tönte es Anfang der 80er Jahre bei uns durchs Pfarrhaus in Uetersen (da keiner der drei Pfarrer in diesem großen Haus wohnen wollte, wohnte Kantor Plath mit seiner Familie darin).

Dann war der besagte Tag gekommen. Es klingelte, ich öffnete, und da stand Manfred Schlenker mit einer großen Aktentasche. Ich fand das aufregend, schließlich kam dieser Musiker aus der DDR, sein Besuch war etwas Besonderes. Ich sehe ihn noch, wie er aus der großen Diele in Vaters Arbeitszimmer verschwand. An weitere Einzelheiten seines Besuchs kann ich mich nicht erinnern.

Meine Eltern fuhren hin und wieder mit einer Gruppe der Kantorei zum Bachfest nach Greifswald, wo Manfred Schlenker bis 1988 Kantor war. Manfred Schlenker schrieb außerdem Sätze zu Liedern meines Vaters und schickte uns seine, die dann auch gesungen wurden.

Nachdem ich im Jahr 2007 mein Singspiel „Das leere Grab“ geschrieben und vertont und ein Jahr später „Das Töchterlein des Jairus“ verfasst hatte, dachte ich mir: Ich kann nicht schon wieder selbst die Musik dazu schreiben, das finden die Leute bestimmt „zu viel“. Darum nahm ich Kontakt mit Manfred Schlenker auf. Im Grunde genommen „erbte“ ich den Kontakt von meinem Vater, der im Dezember 2010 verstarb.

Auf das „Töchterlein“ folgten mehrere Lieder. Unter anderem nahmen Manfred Schlenker und ich 2011 gemeinsam an einem Liederwettbewerb der Evangelischen Kirche im Rheinland zum Thema „Erwachsenentaufe“ teil. Dafür entstanden „Wasser des Lebens, fließe“ und „Dein sein, nicht allein sein“.

Soweit ich weiß, wurde das „Dein sein“-Lied auch von der EKiR veröffentlicht. Zudem findet sich eine Audio-Aufnahme dieses Kanons im Internet (https://www.ekir.de/www/downloads/06deinsein.mp3).

Darüber hinaus entstanden 2011/2012 Beiträge für den Liederwettbewerb „gott wagen” der Hochschule für Kirchenmusik und der Universität Heidelberg. Ich weiß nicht mehr, ob wir tatsächlich alle drei Lieder einreichten („Nicht von dieser Welt“, „Komm, Jesus“, „du bist bei mir“).

Doch erhielt ich für den Text von „du bist bei mir“ den ersten Preis. Manfred Schlenker hatte die Melodie allerdings für Kinder(chor) geschrieben – und ich hatte das Lied auch schon mit dem Kinderchor Dörnigheim aufgeführt. Ein Mitglied der Jury rief mich damals an, ob es möglich wäre, dass ich Manfred Schlenker darum bitte, eine Melodie „für Erwachsene“ zu schreiben. Das war, wie man sich denken kann, eine Herausforderung, oder ich sag mal besser: ein Wagnis. Aber es gelang. Manfred Schlenker schrieb ohne Gram, vielmehr vielleicht etwas belustigt, könnte man sagen, tatsächlich eine neue, wunderbare Melodie (in „gott wagen“ Heidelberger Lieder, VS 6760).

Das Lied findet sich heute als Nr. 27 im EG+ der EKKW (allerdings fehlt die wichtige letzte Strophe, wie ich nicht müde werde allenthalben zu erwähnen: mein leben mein sterben hält mich in dir dort bleibe ich ewig du bist bei mir).

Auch Melodie und Satz für das „Vierzig-Tage-Lied“ aus meinen „Sieben neuen Passionsliedern“ stammen von Manfred Schlenker. Für „Unsere Tränenfluten fließen“ aus der gleichen Sammlung schrieb er einen dreistimmigen Satz.

Das nächste Projekt war „Etwas von den Wurzelkindern“. Das Stück für Kindergartenkinder, Kinderchor und ein Instrumentalensemble basiert auf dem gleichnamigen Jugendstil-Bilderbuchklassiker von Sibylle von Olfers. Die Geschichte: Die Wurzelkinder erwachen, nähen sich Frühlingskleider, verbringen singend, spielend und tanzend den Sommer, bis sie der Herbst wieder zu Mutter Erde treibt. Dort legen sie sich schlafen – bis zum nächsten Jahr. Manfred Schlenker schuf dafür zauberhafte Musik.

Der Esslinger Verlag erlaubte die Vertonung und ich hätte mich sehr gefreut, wenn die Veröffentlichung auch mit dem Cover dieses schönen Bilderbuches geklappt hätte. Doch rief Manfred Schlenker mich eines Tages an, dass er Besuch von einem Verlagsmenschen gehabt hatte, der „alles mitgenommen“ hätte, was noch nicht veröffentlicht war, darunter auch die Wurzelkinder. Er hätte gar nicht so schnell „Nein!“ rufen können, wie die Sachen eingesteckt waren bzw. sei ihm erst später aufgefallen, dass die Wurzelkinder im Packen mit dabei gewesen waren. So kommt es, dass das „Wurzelkinder“-Singspiel mit einem generischen Titelbild auf dem Markt ist. Zumindest ist ein Porträt-Foto von Manfred Schlenker mit darauf abgedruckt. Trotzdem fanden wir bzw. finde ich es nach wie vor schade, dass dieses Singspiel nicht in bunter Fassung mit den Original-Illustrationen vorliegt (aber was nicht ist, kann ja noch werden ).

Als letztes gemeinsames Projekt entstanden die „Afrikanons“: 27 afrikanische Sprichwörter, bekannt und unbekannt, lustig und ernst, ausgesucht, zusammengestellt und sprachlich überarbeitet von mir, in Töne gesetzt von Manfred Schlenker und illustriert von Katrin Fiederling.

Anschließend riet mir Manfred Schlenker, ruhig mehr selbst zu komponieren. Er wollte keine großen Sachen mehr beginnen bzw. hatte er so viele eigene Projekte auf dem Tisch liegen, die er auf jeden Fall noch fertigstellen wollte. Er war vier Jahre älter als mein Vater und wollte wie dieser rechtzeitig „sein Feld bestellen“.

Manfred Schlenker schickte jedes Jahr zu Weihnachten den Rundbrief, immer mit einer Vertonung der Jahreslosung. Dazu erhielt ich einige Briefe mit frischen Vertonungen und Chorsätzen aus seiner Feder. Bis auf die „Wurzelkinder“ sind fast alle gemeinsamen Sachen im Strube-Verlag München erschienen.

Ich bin sehr froh und dankbar für das kreative Miteinander und die lange Zusammenarbeit mit einem der, wie sagt man, „ganz Großen“ der evangelischen Kirchenmusik. Manfred Schlenker hat ein umfangreiches Werk geschaffen, seine Lieder und seine Musik werden weiter gesungen und aufgeführt werden. Mit dem Kinderchor plane ich wieder die Wurzelkinder (letzte Aufführung 2019), weil mich große und kleine Leute immer wieder darauf ansprechen.

Danke, Manfred Schlenker. Und danke, Papa.

Das Bild der Wurzelkinder, die aus der dunklen Erde ins Sonnenlicht kommen (Plakat 2019), passt zur Liedzeile, die über Manfred Schlenkers Todesanzeige steht:

AUF, KOMMT HERBEI, LASST UND WANDELN IM LICHTE DES HERRN! (EG 426, Text: Walter Schulz 1963/ 1987 Musik: Manfred Schlenker 1983).