Dokumentation der 24-29-3-45 Kollektiven Performance zum Gedenken an den Todesmarsch der Häftlinge des KZ „Katzbach“ in den Frankfurter Adlerwerken Ende März 1945 von Frankfurt nach Hünfeld. Die Kunstaktion wurde am 24. März 2024 von 14 bis 15 Uhr auf der Kennedystraße in Maintal-Dörnigheim durchgeführt.
Mit herzlichem Dank ans Vorbereitungsteam vor Ort und alle Unterstützenden dieser jährlichen Veranstaltung, die 2012 in Maintal-Dörnigheim mit 12 Figuren ihren Anfang genommen hat. Alle diesjährigen Beteiligten und Unterstützenden finden Sie hier.

Am Sonntag, den 24. März 2024, gedachten über 80 Personen in Maintal-Dörnigheim gemeinsam der ungefähr 350 Häftlinge, die in den Morgenstunden des 25. März 1945 bei Eiseskälte durch Dörnigheim getrieben wurden. Eine 24-29-3-45 Kollektive Performance findet stets auf einem Teilstück der historischen Strecke des Todesmarschs statt. Die Figuren werden in aller Stille nach und nach weitergetragen.


Insgesamt waren 1.600 Häftlinge von Buchenwald ins KZ Adlerwerke mit dem Decknamen „Katzbach“ überführt worden. Etwa 560 starben dort durch Entkräftung, Verhungern, durch den Strang, durch Fliegerangriffe oder Erschießen auf der Flucht. Diese Menschen wurden in einem Massengrab auf dem Hauptfriedhof verscharrt. „Katzbach“ war das Lager mit der vermutlich höchsten Sterberate außerhalb der Vernichtungslager.


Am 12. März waren noch 874 Häftlinge im Werk. Einen Tag später wurden 535 kranke und marschunfähige Häftlinge in Eisenbahnwaggons gezwungen, um nach Bergen-Belsen transportiert zu werden. Die Waggons mit den Häftlingen standen drei Tage ohne Wasser und Essen vor der Fabrik. Viele starben. Nur acht dieser Häftlinge überlebten.


Die letzten rund 350 Häftlinge, die genaue Zahl ist unbekannt, wurden am Samstag, den 24. März 1945, spät abends in den Werken zum Appell gerufen. Der Todesmarsch begann. Kurz nach Fechenheim wurden alle Marschunfähigen erschossen und in den Graben oder in den Main geworfen.


Gegen 6 oder 7 Uhr früh des 25. März 1945 kam der Marsch durch Dörnigheim. Die Häftlinge liefen im Schneeregen. Sie waren ausgemergelt, hungrig, krank, erschöpft. Am Palmsonntag vor 79 Jahren war das. Wenig später wurden 27 Jugendliche aus Dörnigheim in der Alten Kirche am Main konfirmiert.


Es war verboten worden, aus dem Fenster zu schauen. Und doch bekam der Ort den Marsch mit. Ein Begleiter verriet, dass es Gefangene aus dem Konzentrationslager Buchenwald waren, eingesetzt in den Adler-Werken im Frankfurter Gallusviertel.



Auch ein junges Mädchen steht am 25. März 1945 morgens mit dem Gesangbuch in der Hand an der Straße, sieht diesen Marsch: Die Mutter von Winfried Becker, dem heutigen Leiter des Gallustheaters in den Frankfurter Adlerwerken.



In den Tagen danach wurden links und rechts der Reichsstraße 40 elf Leichen gefunden. Erkennungsmarken mit der Nummer des Konzentrationslagers „Katzbach“ und die Häftlingskleidung zeigten: Opfer des Todesmarsches. Sie hatten Schusswunden. Der Dörnigheimer Totengräber hat sie in einem großen Grab eilig beerdigt.


Manchmal standen sie sehr eng zusammen.

Im Juli 1945 ließen die Amerikaner das Massengrab öffnen. Durch Überlebende hatten sie von dem Marsch erfahren. Es wurde ein würdiges Begräbnis angeordnet. Am 12. August wurde für die Toten des Todesmarsches auf Dörnigheimer Gebiet eine Trauerfeier auf dem Friedhof gehalten. Anschließend wurden zehn Leichen würdevoll in Einzelgräbern beigesetzt. Der elfte Tote trug ein Hakenkreuz-Tattoo, sein Verbleib ist unbekannt.



Einige Jahre später wurden die Toten umgebettet und beim Ehrenmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges im Wald bei Dörnigheim beigesetzt, dort, wo sich jetzt die Hermann-Löns-Straße befindet. In den 1960er Jahren wurden sie nach Schlüchtern umgebettet – und dabei als „unbekannte Kriegstote“ umdeklariert.



Nur 280 Häftlinge kamen in Buchenwald an. Mindestens 50, vielleicht sogar 70 Häftlinge haben den Marsch nicht überlebt. Die Häftlinge wurden, wenn sie zusammenbrachen, von der Wachmannschaft erschossen und am Straßenrand liegen gelassen. Auch ganze Gruppen von Häftlingen sollen so zu Tode gekommen sein, darunter jüdische Häftlinge. Möglicherweise liegen noch immer irgendwo entlang der Strecke unbekannte Tote dieses Marsches. Nur wenigen gelang die Flucht.


Kajetan Kisinski, einer der Überlebenden, sagte nach einem langen Interview zu seiner Gesprächspartnerin Joanna Skibinska: „Nichts von dem, was ich erlebt habe, haben Sie erfahren! Nichts. Diese Angst und Entwürdigung kann man nicht beschreiben.” (Skibinska 111)


Die Gedenkperformance zeigte, wie nah das Ereignis uns eigentlich ist. Rosel Vadehra-Jonas, die mit ihrer Mutter die Gräber der Toten pflegte, und Winfried Becker, dessen Mutter den Marsch sah und ihrem Sohn später davon erzählte, sind zwei Personen, die uns direkt mit dem Geschehen im März 1945 verbinden.



Das Wetter hielt bis kurz vor Schluss der letzten Rede. Dann begann es heftig zu regnen. Die durchnässten Figuren wurden von den Teilnehmenden zurück in den Lagerraum gebracht: in einem Gebäude hinter dem Käthe-Jonas-Platz. Anschließend war Gelegenheit zum Gespräch in der Sakristei der Alten Kirche am Main.



Mehr als 1.500 Todesmärsche fanden am Ende der Nazi-Herrschaft statt. Lager hatte es zudem sehr viele gegeben. „Die ständige Behauptung Wir haben nichts mitbekommen – das stimmte nie“, sagte eine hochbetagte Dame.


Als unerträglich empfinde ich mittlerweile die Momente, wenn Interessierte erfahren, dass es nicht nur jüdische, sondern vor allem polnische Menschen waren, die auf diesen Marsch getrieben wurden. Da kommt es immer wieder zu seltsamen Reaktionen, wie ein inneres Aufatmen. Als sei das Geschehene darum „weniger schlimm“.



Eine Frau, Jahrgang 1942, die 2012 an der ersten Performance teilgenommen hatte und aus gesundheitlichen Gründen diesmal nicht nach Dörnigheim kommen konnte, sagte, nachdem wir über die diesjährige Veranstaltung und über aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen gesprochen hatten: „Was haben zu viele Menschen seit 1945 eigentlich gelernt? Nichts. Sie haben nichts aus dem gelernt, was geschehen ist.“


In 2025 wird die Gedenkperformance in Aufenau bei Wächtersbach stattfinden.

Zeichnung: USP, 2012; Alle Fotos: Marzena Seidel, photoebene.
Ein Hinweis: Schriftliche Dokumentationen der ersten Kollektiven Performance im Jahr 2012 in Dörnigheim sind noch erhältlich, ebenso Dokumentationen der Performance 2023 in Langenselbold. Bei Interesse nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.
Nachfolgend finden Sie den Flyer zur Performance 2024 in Dörnigheim zum Download. Dieser enthält neben dem Grußwort des Schirmherren, dem Hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein, historische Informationen. Für Material zu den vorherigen Performances, Literaturhinweise, Links zu Partnern etc. besuchen Sie bitte die Seite kzadlerwerke.de.
Hier noch mal ein Link zur Liste der Unterstüzer der Gedenkperformance 2024.
Vielen Dank für Ihr Interesse.
Ulrike Streck-Plath
Maintal-Dörnigheim, 28. März 2024
Nachfolgend die Rede von Rosel Vadeha-Jonas vom 24. März 2024 zum Download.